Lebendigkeit voraus

Die letzten Tage waren extrem lebendig. Bevor wir nach Bologna fahren kommen wir durch Ferrara. Wir kommen bei unserem Couchsurfing Host für die Nacht – Guliamo - an. Er wohnt press in der City im obersten Stock. Nun treffen wir auf ein Problem, das uns vorher fremd war. Wo stellen wir unsere Fahrräder mit Anhänger hin? Er hat keine Garage und der Raum im Hinterhof ist eigentlich nur für Autos und sehr begrenzt. Für uns eigentlich kein Problem – wir stellen die Anhänger einfach für eine Nacht auf den Bürgersteig und die Bikes irgendwo in den Hinterhof. Für uns easy going. Guliamo wirkt plötzlich besorgt, dass die Hänger jemanden stören könnten oder geklaut werden. Er muss aber los, übergibt uns seine Schlüssel für die Wohnung und überlässt uns mit der Situation. Es wird dunkel, wir sind müde und haben keine andere Idee, also hängen wir die Anhänger ab und stellen sie auf Position auf dem Bürgersteig. Plötzlich ruft aus einem der Fenster des Gebäudes: „Die Hänger können hier nicht stehen“. „Menschen werden Fragen stellen, die Polizei wird alles mitnehmen, manche werden denken es handelt sich um Terrorismus, da die Hänger in der Nähe einer Schule stehen“. Die Worte zergehen uns auf der Kleinhirnrinde. Hat die Frau tatsächlich Worte wie „Terrorismus“ im Zusammenhang unserer Kinderanhänger benutzt? Wir sind auf jeden Fall verunsichert und suchen nach einer anderen Lösung. In diesem Moment kommt ein Mann aus Albanien vorbei. Wir erzählen ihm unser Problem. Er hat eine Garage vor die wir alles stellen können. Wir sind safe und niemand muss die Polizei wegen Terrorismusgefahr anrufen. Halleluja

Am nächsten Tag geht die Reise nach Bologna. Es liegen 50 km vor uns und Regen ist gemeldet. Die Zeit drängt, denn wir wollen am Abend in Bologna sein – wieso? Weil wir dort Ellas Fahrrad von einer Mitfahrgelegenheit in Empfang nehmen wollen. Zur Vorgeschichte:

Ellas Wunsch selbst zu fahren und nicht mehr nur auf Pino Hase mitzustrampeln ist in den letzten Wochen immer größer geworden und wurde jeden Tag zum Thema. Wir sehen ihr großes Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit und wissen um die Freude die sie beim Fahrradfahren hat. Also fangen wir an zu überlegen: Sollen wir ein neues/gebrauchtes kaufen? Fühlt sich nicht stimmig an, da sie ein sehr gutes Fahrrad, das ihr perfekt passt, hat. Das steht allerdings noch in Seebruck (GER). Wie könnten wir an das Fahrrad kommen? Schicken lassen? Viel zu teuer. Dann kommt uns die Idee: Vielleicht finden wir eine Mitfahrgelegenheit die es in eine größere Stadt in der wir sein werden mitnimmt. Es beginnt eine logistische Meisterleistung  geleitet von Lorena, die an sämtliche Faktoren denkt, dass das Bike hierher gebracht werden kann. Sie schreibt zig Nachrichten und  führt Telefonate. Hoffnung, Frust, und wieder Hoffnung. Menschen helfen uns und bringen das Fahrrad erstmal nach Bad Aibling (Tassilo), dann wird es übergeben (Matthias) und dann schließlich nach Bologna (Ernesto) mitgenommen. (Danke nochmal an dieser Stelle an alle Beteiligte) Wir sind hyped und aufgeregt. Das Fahrrad ist also unterwegs.

Im Laufe des Tages erfahren wir, dass Ernesto es nicht bis zum Abend nach Bologna schaffen wird und erst am nächsten Vormittag in Bologna sein wird. Unser Glück, denn es ist 16 Uhr und wir sind noch locker 25 km entfernt. Wir suchen uns einen Schlafplatz für die Nacht und wollen die restlichen Kilometer am nächsten morgen fahren.

Die letzten Kilometer nach Bologna werden zur Herausforderung. Wir brauchen länger als gedacht, der Weg ist voller Matsch und Schlamm und einmal stehen wir plötzlich vor einem verschlossenem Zaun und wir wissen nicht weiter. Wir haben plötzlich Zeitdruck um rechtzeitig am vereinbarten Ort Ernesto zu treffen, da er noch weiterfährt. Dann passiert es: die Kette auf meinem Fahrrad springt runter und beißt sich fest. Sie lässt sich nicht einfach rausziehen. Ich lockere den Reifen und vergesse ihn wieder fest zu ziehen. Das wird uns später noch zum Verhängnis. Ich spüre Stress. 

Wir schaffen es mit ein paar Minuten Verspätung zum vereinbarten Treffpunkt, die Freude ist groß beim Empfangnehmen des Fahrrads. Anschließend fahren wir zum Decathlon – denn seitdem klar war, dass Ella ihr Fahrrad bekommt steht für Laila fest: sie will auch ein Fahrzeug. Also muss ein Laufrad her. 

Endlich können wir mit unserem Gespann weiterziehen. Es sind noch 8 km in die Innenstadt zu unserem Couchsurfing Host. Nach 1 km passiert es: mitten auf einer großen Kreuzung frisst sich der Umwerfer von meinem Fahrrad (Gregor) in die Speichen. Schnell von der Straße weg und auf dem Gehweg das Fahrrad an der Kreuzung erstmal wieder fahrbar machen- der Reifen blockierte. Umwerfer zurückgebogen und ab zu nächsten Bike-Werkstatt (Empfehlung einer Frau die uns geholfen hat). Die Fahrradwerkstatt entpuppt sich allerdings als Scooter-Werkstatt, also erstmal  weiterschieben. Die nächste Werkstatt erkennt uns schon von weitem. Es kommen zwei Männer, sie sprechen schnell und probieren mit einer Zange und Kabelbinder das System so zu fixen, dass ich wenigstens notdürftig fahren kann. Es sieht gut aus. Sie wollen kein Geld, nach 10 Meter reißt alles wieder auseinander. Ich binde den Umwerfer nach oben und kann rollern. Wer hat sein Fahrrad schon mal als Roller entfremdet Hand hoch. Ich weiß nicht mehr was die letzten 6 KM präsenter war, die Krämpfe in den Beinen, der Regen im  Gesicht oder die Schwere der vielen Menschen die ein vorankommen durch Bologna-City sehr erschwerten.

Die letzten 1,4km im strömenden Regen in Bologna haben wir (nach unserem Video in der Telegram-Gruppe) dann auch noch geschafft. In Bologna wurden wir von Andrea (Couchsurfing) herzlich empfangen. Was eine Erleichterung nach solch anstrengenden Stunden in ein warmes Zuhause aufgenommen zu werden, eine warme Dusche und ein leckeres Essen zu bekommen. Mein Kopf denkt: Bitte kuschel mich in eine große warme Decke ein und mach mir einen heißen Kakao. Große Dankbarkeit durchströmt uns für Menschen wie Andrea die ihr Zuhause für uns öffnen. Ella connected sofort, zusammen backen sie einen Schokokuchen. Geht auch ohne die gleiche Sprache zu sprechen. Erschöpft fallen wir nach einem gemeinsamen Abendessen ins Bett. Der Tag möchte verarbeitet werden. Am nächsten morgen steht die Reparatur im Fokus. Andrea ist ein Mensch mit großem Herz, seine Energie Dinge in die Hand zu nehmen berührt uns. 

 

Er telefoniert mit unzähligen Fahrradläden, einer schickt ihn zum anderen. Wir rechnen schon damit, dass wir einige Tage in Bologna verbringen werden, bis der Umwerfer bestellt werden kann. Doch dann plötzlich die Nachricht von Andrea: „Ho trovato la parte“. Er hat das Teil nicht nur gefunden, sondern dank seiner Energie reparieren sie es noch heute. Fahrrad rein ins kleine Auto von Andrea und los geht’s - und tatsächlich - sie reparieren es innerhalb von einer Stunde. Wow, wir sind mega dankbar, dass es so unkompliziert war und gleichzeitig überrascht und erstmal überfordert, da wir nicht damit gerechnet haben. Kurz überlegen wir ob wir doch noch am gleichen Tag weiter zu fahren um das gute Wetter zu nutzen, merken dann aber erstmal wie erschöpft wir noch eigentlich sind. Also erstmal entspannen und ausruhen und Sacken lassen. Andrea schafft in seiner Wohnung einen Raum, den wir brauchen. Wir fühlen uns heimlich. Danke dir mein lieber. Wir lassen die Tage nochmal Revue passieren. 

Jetzt sitzen wir in einem kleinen Häuschen ganz für uns von Stefano & Elena, 40 km südlich von Bologna in den Bergen regnet es draußen in regelmäßigen Abständen. Es sollte eigentlich nur eine kurze Übernachtung hier werden, jetzt sind es schon drei Tage. Warum? Zum einen liegt eine Schlechtwetterfront/Regenfront vor uns und wir genießen das Dach über dem Kopf, zum anderen waren wir nach unserer Fahrt von Bologna hier her einfach so erschöpft, dass nichts mehr ging. Die Fahrt hat uns, da wir eh angeschlagen waren, an unsere körperlichen Grenzen gebracht - 40 km, knapp 500 Höhenmeter, mehrmaliges Feststecken unserer Fahrräder + Anhänger in knöcheltiefem Schlamm, nasse Schuhe, kein Akku mehr, und am Ende mussten wir noch Pino Hase mit Anhänger mit unseren letzten Kräften mit vielen Pausen bei Dunkelheit 400m eine brutal steile Straße schieben. Zur unserer Erleichterung und Überraschung wurden wir herzlich empfangen und Stefano holte Gregors Fahrrad + Big Daddy mit einem Sprinter am Fuße des Berges ab. Essen kochen, Zelt aufbauen und buona notte. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0